Surplusrealität in der Einzeltherapie

Inhaltsverzeichnis

Teil B
Praktische Anwendung in der Einzeltherapie

8 Das Psychodrama à deux

8.1 Einleitung

Im Einzeltherapiesetting gibt es keine therapeutisch trainierten Hilfs-Iche, Doppel und Zuschauer, außer dem Psychodramatiker selber. Die Psychodramabühne wird von nur zwei Personen kreiert und nicht von einer Gruppe. Wenn wir Morenos Aussage und sein Konzept ernst nehmen, daß trainierte therapeutische Hilfs-Iche, Doppel und Spiegel ein nötiger Aspekt des Psychodrama-Heilungsprozesses sind, dann folgt logischerweise, daß der Therapeut in der Einzeltherapie zu seinem therapeutischen Repertoire die zusätzlichen drei Rollen: Hilfs-Ich, Doppel und Spiegel, beherrschen und integrieren muß. Sie sind ein Teil der therapeutischen Kompetenz des Therapeuten und dieser entscheidet in der Situation, nach Tele und Spontaneität, was anwendbar ist. Er könnte sich z.B. für Monodrama entscheiden, indem der Protagonist selbst die Hilfs-Ich-Rollen übernimmt, oder für ein Psychodrama à deux, wobei der Leiter selber in der Hilfs-Ich-Rolle mitspielt. Er könnte auch eine Kombination von verschiedenen Modellen nehmen, z.B. auch Autodrama. Beim Autodrama verzichtet der Leiter auf direkte Interventionen und ist dem Protagonisten lediglich bei der Erwärmung durch ein Interview behilflich. Diese Technik bietet sich eher bei recht erfahrenen Protagonisten an. Wichtig ist, daß der Leiter verschiedene Modelle als Handlungsmittel beherrscht, die ihm/ihr jederzeit zu Verfügung stehen.

Das Verstehen und Nachempfinden des Therapeuten bleibt nicht mehr nur auf die verbalen Mitteilungen des Patienten bezogen, sondern der Therapeut ist Schöpfer und Miterlebender der Gestaltung der inneren Szenen des Patienten. Die Gelegenheit zum ganzheitlichen, szenischen Ausdruck des Patienten und die erweiterten Möglichkeiten zum szenischen Verstehen des Therapeuten stellen die wesentlichen Ziele für die Anwendung psychodramatischer Techniken im Einzelinterview dar. Er handelt als therapeutischer Agent mit Intuition, setzt die Szenen, den Protagonisten und sich selbst in Bewegung.

8.2 Die Rolle des Leiters in der Einzeltherapie

Der augenfälligste Unterschied zwischen dem Psychodrama à deux und anderen Therapieformen ist der spielerische Charakter der therapeutischen Situation. Diese Atmosphäre wird bewußt und mit Sorgfalt hergestellt. Sie ist ein unverzichtbares Agens dieser Therapieform. Der Therapeut wird zum Spielgefährten des Protagonisten. Hier liegt gleichzeitig die besondere Herausforderung an den Therapeuten, denn natürlich ist das Spielerische die Ergänzung, das Medium der Therapie. Die Therapie verliert dadurch keineswegs an Ernsthaftigkeit, sondern im Gegenteil ist das Medium des Ausdrückens, des Ausspielens statt des "Darüber-Sprechens" die Via regia zu den unterdrückten und tabuisierten Themen. Es ist also das Können des Therapeuten, spielerisch und phantasievoll zu sein, und gleichzeitig den Gedanken an die Heilung, an die Therapie nicht aus den Augen zu verlieren. Therapie und Spiel ist keineswegs ein Widerspruch, und Spiel und kreativer Ausdruck ist ein unverzichtbarer Aspekt menschlicher Lebendigkeit. Es ist die Persönlichkeit des Therapeuten, seine Erfahrung und seine Freiheit im Ausdruck und in der Handlung, welches modellhaft den Protagonisten animiert, sich ebenfalls freier zu bewegen und eine neue Haltung einzunehmen.

Das Auge des Kindes erfaßt beim Betreten eines fremden Raumes unbeirrt und präzise sofort alles, was sein Interesse fesseln könnte. Freie und lebendige Kinder gehen darauf zu und beziehen sich im spontanen Spiel auf den Gegenstand bzw. auf die Anwesenden. Sicher ist diese Wahl immer Ausdruck des aktuellen Empfindens des Kindes. Wir, die so Erwachsenen, tun dies (hoffentlich) im Stillen auch, sicher sind wir aber nur allzugern bereit, uns "vernünftig" zu verhalten und unterdrücken alle spontanen Impulse von Interesse und Begeisterung. Im Psychodrama à deux werden diese Impulse neu entdeckt und ihre "Wahrhaftigkeit" für die Therapie nutzbar gemacht. So ist das Therapiezimmer eines Psychodramatikers lebendig, warm, bewohnt eingerichtet, es spiegelt die Persönlichkeit des Therapeuten und regt die Phantasie an. Der Therapeut lädt den Patienten ein, sich umzusehen, sich im Raum zu bewegen. Der Protagonist wird ermuntert, interessante Dinge anzufassen und zu bewegen, ggf. vorhandenes Spielzeug auszuprobieren.

So kann sich ganz von selbst aus dieser spielerischen und freien Situation die erste Erwärmung ergeben, das Interview und das Spiel finden leicht erste Anknüpfungspunkte.

Im Idealfall kann man die Situation so arrangieren, daß man für zwei Plätze im Raum hat: einen für das Interview und einen für das Ausspiel. So ist der Raum für das Interview eine Sitzecke, bequem, geschützt, einladend für das vertraute Gespräch und die Fläche für das Ausspiel der Szenen geräumig, frei von störenden oder empfindlichen Gegenständen (Vasen, Bilder) und bietet günstigenfalls mehrere leichte Stühle, die schnell bewegt werden können. Eine Auswahl bunter Kissen und Tücher vervollständigen die Grundaustattung. So angenehm und erleichternd eine gute Ausstattung des Raumes ist, so muß man aber festhalten, das ein guter Psychodramatiker mit allen räumlichen Bedingungen arbeiten kann, genauso wie das Spiel des Kindes an keinerlei äußere Voraussetzungen gebunden ist.

Die Überleitung zum Ausspiel der Szenen ist besonders zu Anfang einer Therapie ein u.U. schwieriger Moment. Hier den richtigen Moment zu erspüren, die Einladung richtig zu gestalten, erfordert Erfahrung und Fingerspitzengefühl. Manchmal ist eine einfache Aufforderung richtig, machmal eine längere Erklärung zum Sinn und Zweck der Aktion. Es ist sehr nützlich, durch einen Wechsel der Sitzordnung, durch einen Wechsel der Aktionsfläche, zumindest aber durch Aufstehen, deutlich zu markieren, das jetzt ein besonderer Abschnitt des Gesprächs beginnt. Es ist wie das öffnen des Vorhangs im Theater. Es ist nicht nur das Beiseitetun einer Sichtblende, es ist ein symbolischer Akt, der für alle Beteiligten markiert, daß nur besondere Regeln der Wahrnehmung und der Kommunikation gelten. Für jeden Therapeuten und für jede Stunde mit einem Protagonisten mag dieses "Betreten der Bühne" anders aussehen, aber es sollte immer ein deutlich identifizierbarer Moment sein.

Vieleicht ist es angebracht, an dieser Stelle einem möglichen Mißverständnis vorzubeugen. Es ist sicher nicht so, daß ein psychodramatisch arbeitender Therapeut in der Einzeltherapie ständig, jede Stunde, jede Therapiesitzung ein intensives Psychodrama ausspielt. Durchaus sind psychodramatische Techniken nicht für jeden Klienten in der Einzeltherapie geeignet, noch ist immer die Situation und die momentane Befindlichkeit richtig für solche Interventionen. Oft ist es bei eine Reihe von Klienten ein großer therapeutischer Schritt, wenn in einem Gespräch in einer kurzen Sequenz ein einfacher Rollentausch möglich wird. Immer aber ist die Flexibilität und die trainierte Spontaneität, die dem Psychodramatiker eigen ist, ein Gewinn für jede therapeutische Situation.

8.3 Tele

Im Psychodrama à deux ist der Leiter besonders herausgefordert, denn er muß hier alle Rollen übernehmen können. Er ist in seiner Spontaneität und mit seiner Einfühlung ganz auf sich selbst gestellt. Er ist hier nicht nur der planende und führende Leiter, er ist auch vor allem ein begleitender Leiter, jemand, der den Protagonisten in dem Fluß des Geschehens fördernd unterstützt, mehr folgt als führt. Der Leiter ist immer vor eine neue, unbekannte Situation gestellt. Er kann nicht im vorhinein wissen, wohin die Arbeit dieser Stunde(n) führt. Er muß sich auch fallen lassen, seiner Kreativität vertrauend. Auch er hat ein Bedürfnis, die Situation zu gestalten, etwas Neues zu schaffen, etwas Neues zu erfahren.

Die entscheidende Voraussetzung für ein positives und förderndes Gelingen dieses gemeinsamen Prozesses ist ein geschultes und entwickeltes Tele zwischen dem Leiter und dem Protagonisten. Das Verständnis von Tele im Psychodrama geht über den Begriff der Einfühlung und dem kognitiven Verstehen des Protagonisten hinaus. Es ist eigentlich das vorbewußte, intuitive Wissen um den Anderen und die gezielte Nutzbarmachen dieses Wissens. Ein wesentlicher Teil des Surplus ist die Erforschung dieses Wissens. Je trainierter ein Leiter ist, desto besser kann er diese Quellen für die Therapie nutzbar machen.

Das Tele umfaßt alle zeitlichen Dimensionen, die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Der Leiter fragt sich, wer war mein Protagonist, wie ist er heute, und wie könnte er sich entwickeln?

Das Tele enthält auch eine Dimension des Surplus. Der Leiter geht in seiner Exploration, in seiner Erforschung seines Gegenüber über die Fragen nach der Realität hinaus. Er fragt sich auch nach dem Verborgenen, nach dem Nicht-Geschehenen, nach dem Möglichen. All diese Gedanken sind Teil der besonderen, ganzheitlichen Betrachtungsweise, die nur dem Psychodrama eigen sind. So mag sich der Leiter beispielsweise fragen, welche (Lebens-)Rollen der Protagonist in einem anderen Jahrhundert gelebt hätte. Er fragt sich, welche theatralischen Rollen in der Literatur, im Kino und im Theater zum Protagonisten passen würden.

Er sieht den Protagonisten in seiner Ganzheit, in der, die gelebt wurde, und die, die nicht gelebt wurde, und die, die hätte sein können. Er fragt sich:

  • Welche menschlichen Beziehungen lebt er?
  • Welche Wunden trägt er in sich?
  • Welche Menschen waren in seinem Leben wichtig?
  • Welche Rollen konnten ausgelebt werden, welche nicht?
  • Welche Personen in seinem Leben sind gestorben, oder waren sonstwie nicht vorhanden und übten so Einfluß aus?
  • Welche Personen wurden in der Familientradition mystifiziert und wirken so als "Geister" auf die Psyche des Protagonist (z.B.:"Schon dein Großvater hat immer gesagt...")

Nun ist das Tele nicht etwas festes, oder einmal Erreichtes, sondern ein Geschehen, ein gemeinsam Erlebtes, eine Wechselwirkung zwischen Leiter und Protagonist. Das Tele baut sich auf in den ersten Minuten der Begegnung zwischen diesen Menschen und formt sich, den Erfordernissen der Situation folgend im Weiteren.

Die erste Phase des Psychodramas ist in der Gruppensituation wie auch in der Einzeltherapie die Phase der Erwärmung. Die Erwärmungsphase hat folgende Ziele:

  • Aufbau des Teles
  • Förderung bzw. Erweckung der Spontaneität
  • Erwärmung für das Ausspiel der ersten Szenen

Nun gibt es viele hundert Techniken der Erwärmung für jede nur denkbare Situation in der Gruppe und auch für die Einzeltherapie. In aller Regel nimmt dabei das Interview die zentrale Rolle ein, von der aus sich alles weitere ableitet.

8.4 Erwärmung, Interview und Diagnostik

8.4.1 Erwärmung und Interview

Am Anfang einer Therapie wie auch zumeist am Anfang einer Therapiestunde steht in aller Regel ein Interview. Dieses Interview hat im Psychodrama eine besondere Funktion und folgt eigenen Gesetzmäßigkeiten. Natürlich dient das Interview all den üblichen Zwecken, den das Interview in allen anderen therapeutischen Schulen hat: Aufbau eines Kontakts, Gewinnung klinischer Informationen, Prüfung der Motivation usw. Neben der Diagnostik ist die Erwärmung die zentrale Funktion des Interviews im Psychodrama.

Die Erwärmung des Patienten beginnt schon mit der ersten Begegnung, mit der Begrüßung. Nicht ist unwesentlich in dieser Begegnung. In den Fragen, die der Leiter stellt, spürt der Patient ein echtes Interesse an seiner Person. In der besonderen Art des Fragens im Psychodrama ist jede Routine fehl am Platz. Der Leiter reagiert auf die ganze Erscheinung der Person. Er bemerkt z.B. die Kleidung, den Geruch, die Haltung, die Mimik, er bemerkt Tonfall und Gestik. Er reagiert u.U. unerwartet, fragt z.B. nach der besonderen Bedeutung eines Schmuckstücks, das der Patient trägt, kurz, auf alles was geeignet ist, die besondere Geschichte des Patienten zu markieren, ev. darzustellen. Der Leiter betrachtet den Protagonisten mit den Augen eines Regisseurs für ein Stück, das es noch zu schreiben gilt. Er fragt sich, ist dies ein Charakter für eine Komödie oder eine Tragödie? Ist dies ein romantischer Liebhaber, und wenn nein, warum? Könnte diese Frau auch Mutter sein und wenn sie keine Kinder hat, was hat sie (bei entsprechendem Alter) davon abgehalten? Er könnte dann z.B. fragen, welchen Namen sie ihren Kindern geben würde.

All diese Fragen zielen darauf, ein Bild, eine Geschichte zu finden, die in dieser oder einer der folgenden Stunden auf der Bühne dargestellt werden könnten. Die Fragen zielen immer auf das Konkrete, Darstellbare ab. Es ist stets die Suche nach einem Bild, die die Fragen des Leiters steuern. Auch wenn die Geschichte im Surplus lokalisiert ist, auch wenn es um abstrakte Themen geht, wichtig ist, es darstellbar, formbar, fühlbar, sichtbar zu machen.

Der Therapeut läßt sich durch die Reaktionen, durch die äußerungen des Protagonisten inspirieren. Er reagiert nicht nur, er setzt auch Impulse, er gestaltet mit dem Protagonisten zusammen. So regelhaft das Interview in sich selbst ist, so unvorhersehbar ist der Fluß des Gesprächs, der Weg der gemeinsamen, spontanen Inspiration. So mag beispielsweise die Haltung und die Kleidung einer Protagonistin an eine hochgestellte Person erinnern, vieleicht ist es nur der Schnitt des Kleids, welches an eine Prinzessin erinnert. Der Therapeut mag fragen: Ob sie eine Verbindung zu ägypten hat? Reagiert sie positiv, mag der Fortgang des Gesprächs zu einer Imagination führen, die die Protagonistin in eine Situation im alten ägypten führt. Was tut sie, wie ist sie gekleidet, wie alt, mit wem ist sie dort, wer ist der Gegenspieler, was geschieht als nächstes? usw.

Wenn die Protagonistin keine Prinzessin sein will, auch noch nie eine sein wollte, auch als Kind nicht, dann enthält auch dies Hinweise. Eine naheliegende Frage ist dann nach der Lieblingsphantasie, der Lieblingsrolle als Siebenjährige usw.

So führt eine Frage logisch zu der nächsten, da das Ziel der Frage die Vervollständigung des Bildes, bzw. die Weiterführung der Geschichte ist. Immer werden dadurch die innerpsychischen Themen konkretisiert. Selbst die Frage nach dem eben genossenen Mittagessen führt der Leiter zu einem Bild, zu einer Geschichte, die die Psyche des Protagonisten erhellt: Was, wann, wo, wieviel, mit wem, ach allein? Ist das gut? Mit wem denn lieber? War das immer so? Wie sähe denn ein absolut gelungenes, wunderschönes Essen aus? usw.

Die Gesprächsführung im Interview ist mehr noch als in der Gruppensituation wichtigstes Instrument der Erwärmung des Protagonisten. Die Gesprächführung signalisiert: Hier ist kein Thema unmöglich. Die wachsende Erwärmung für ein Thema, für eine Geschichte formt einen Rapport, eine Verbindung zwischen Leiter und Protagonisten, ein gemeinsamer schöpferischer Prozeß beginnt. Dieser Prozeß hat im Idealfall etwas von der Qualität und der Versunkenheit des Spiels von Kindern, in dem Worte und einfache Gegenstände für eine Zeit zu magischen Objekten werden, die besondere Kraft, besondere Bedeutung besitzen. Dies erschließt sich im Spiel, formt sich, baut sich auf und steigert sich. Ein Kissen wird zu einer Person, und die Gegenwart dieser Person wird zur Realität. So formt der Leiter durch seine Gesprächsführung die Situation, gibt ein Beispiel, lädt ein zum Spiel und erwärmt die Situation, sodaß ein Ausspiel, ein Ausdruck von Gefühl (mehr und mehr, von Stunde zu Stunde) möglich wird.

8.4.2 Diagnostik und Themen

Der Leiter in der Einzeltherapie ist auch in der Diagnostik besonders gefordert, da er in der Regel einen Klienten als Protagonisten über einen teilweise sehr langen Zeitraum begleitet. So werden allein durch die Dimension der Zeit andere Themen zentraler. Die Gedanken des Leiters könnten in der Exploration um folgende Themen fokussieren :

  • Verlust und Wiederverbindung
  • Begegnung, Liebe und Bindung
  • Unverarbeitete Trauer
  • Kreativität in Freizeit und Beruf
  • Sexualität und Traumatisierungen
  • Kinder und Elternschaft
  • Konfliktarbeit im Zwischenmenschlichen
  • Freundschaft und soziale Integration

Praktisch jeder, der um therapeutische Hilfe nachsucht, hat mindestens ein Thema aus dieser Liste. Eine Faustregel besagt, das das wichtigste Thema direkt oder indirekt in den ersten fünf Minuten eingangs des ersten Gesprächs erkennbar ist. Nicht selten ist das eigentliche Thema aber verschlüsselt: Es macht manchmal Sinn, genau das Gegenteil anzunehmen, was der Protagonist beteuert. Wichtig ist oft das, was nicht erwähnt wird. Spricht der Protagonist ständig über seine Mutter, ist der Vater ein möglicherweise viel schmerzliches Thema. Diese, jedem erfahrenen Therapeuten vertrauten Zusammenhänge bekommen im Surplus eine besondere Bedeutung. Läßt man den Protagonisten eine Geschichte erzählen, ein psychodramatisches Bild stellen, wird, ohne das der Leiter besonders intervenieren oder gar konfrontieren muß, das Fehlende, das "Verborgene" offenkundig. Die Dynamik der Situation, die "Gestaltheit" des Dargestellten fordert von Protagonisten Handlung, Stellungnahme. Das Heilwerden, im Sinne von Ganzwerden, entwickelt sich von allein, der Leiter folgt, er muß nicht führen.

Damit diese Prozesse möglich werden, muß der Leiter in der Lage sein, ganzheitlich zu sehen, dabei aber nicht den Blick für das kleine Detail verlieren. So ist er zwar stets bereit, dem Impuls der Situation zu folgen, aber er hat einen roten Faden, eine Hypothese über die Themen des Protagonisten. Diese Hypothesen werden systematisch getestet, erfragt, beobachtet. Dieser Prozeß beginnt in der ersten Minute des Kontakts und endet mit der endgültigen Entlassung des Protagonisten.

Der Leiter exploriert also sehr systematisch und sehr sorgfältig. Er macht sich während oder nach der Sitzung ausführliche Notizen. Er fragt nach den lebensgeschichtlichen Zusammenhängen: Die Geburt, die Situation der Eltern vor und nach der Geburt, die Kindheit usw. Er fragt nach den wichtigen Personen im Leben des Protagonisten, er fragt, wie sind sie in dieses Leben getreten, wie sind sie ggf. daraus wieder abgetreten. Sind alle Abschiede vollzogen? Dieses "Skelett" wird von den Details des lebendigen Lebens mit "Fleisch" gefüllt: Kleine Details: z.B. die Lieblingsbücher in der Kindheit bzw. der Verbleib des Lieblingsspielzeugs führen oft zu tiefempfundenen Bildern.

Er fragt nach dem, was war und nach dem, was nicht war, was nicht geschehen ist, aber hätte geschehen sollen (im Wunschdenken des Protagonisten) Beispielsweise könnte exploriert werden, warum die erste große Liebe nicht zu einer sexuellen Begegnung führte. Wenn damals der Protagonist nicht mit den Eltern umgezogen wäre, wie wäre sein Leben dann verlaufen? So zeigen sich Lebenslinien auf und die Brüche darin werden dem Protagonisten offenkundig. Hier zeigen sich dann Entwicklungsmöglichkeiten, werden steckengebliebene Energien, Talente und Interessen freigesetzt.

Wird in einer Sitzung auf ein bestimmtes Thema fokussiert, dann ist es nicht nur die Gesamtheit der Themen, die der Leiter im Hinterkopf behält, er versucht, bei jedem Thema die Gesamtheit der Situation zu überblicken. Er verschafft sich also zunächst Klarheit über Ort und Zeit und fragt, wenn der Protagonist unklar bleibt nach: Wann trat das Gefühl zuerst auf, wo ist es am deutlichsten gewesen, wielange ist das schon so? usw. Er gibt sich nicht zufrieden, bis die Antwort konkret ist, d.h. so konkret, wie sie beispielsweise ein Drehbuch für einen Film verlangen würde. Entsprechend fragt er dann nach allen beteiligten Personen, und insbesondere nach denen, wo der gesunde Menschenverstand verlangt zu wissen, wo diese in der Situation waren, und was sie taten bzw. was diese insbesondere zu unterlassen pflegten.

Ein Beispiel: Eine Patientin äußert eingangs des Gesprächs, daß es ihr sehr gut geht, sie wirkt aber sehr müde und abgespannt. Der Therapeut äußert dies und fragt beiläufig nach dem Verlauf des Tages. Die Patientin berichtet von einen Konflikt mit ihrem Vorgesetzten, wiegelt die Situation ab. Das dem Geäußerten folgende Schweigen markiert die verborgene Bedeutung, die der Vorfall für die Patientin hat. Der Therapeut fragt die Patientin nach ihren momentanen Empfindungen. Genaues Nachfragen und Konkretisieren, insbesondere auf die Lokalisierung des Gefühls im Körper fördert zutage, daß die Patientin eine Anspannung im Magen und ein Engegefühl im Hals empfindet, stärker, als dies bei dem geschilderten Vorfall angemessen, bzw. zu erwarten gewesen wäre. Gefragt, antwortet sie: Ja, dies ist eine ihr vertraute Art auf Druck zu reagieren. Therapeut: Wie lange sie so schon zu reagieren pflegt? Patientin: Sehr lange, bestimmt seit der Kindheit! Therapeut: Vor der Einschulung? Patientin: Ja! Der Therapeut fragt weiter: Wo lebten Sie da, wer war noch da, Eltern, Geschwister, Großeltern? usw. Die Patientin schildert ausführlich, erwärmt sich für das Thema und wirkt jetzt emotional sehr beteiligt. Die Frage nach einem konkreten Bild, einem Vorfall aus dieser Zeit fördert die Erinnerung zutage, daß die Mutter die Patientin schon wegen kleiner Vergehen stundenlang in den Keller einzusperren pflegte. Erst die Ankunft des Vaters erlöste die Patientin aus dem Gefängnis. Die Frage des Therapeuten nach dem Verbleib der Schwester der Patientin während dieser Zeit erhellt die Familienstruktur zu dieser Zeit (bis heute) weiter, denn die Patientin wurde vom Vater bevorzugt, während die Schwester zur Mutter hielt und von dieser niemals eingesperrt wurde.

Der Therapeut läßt sich also bei der Ausrichtung seiner Gesprächsführung ganz allgemein von den großen Lebensthemen leiten. Im Detail sucht er nach einem Bild, nach der Geschichte und versucht, eine Schlüssigkeit in der Situation zu erkennen. Dann sucht er nach Konkretheit: Wer, wann, wo, was genau, und was dann weiter, wer noch, wer nicht? usw. Er beachtet dabei sowohl die psychische, wie auch die somatische Realität des Protagonisten damals wie heute (in der Interviewsituation und allgemein). Oft genug fördert die Frage nach dem aktuellen Empfinden im Körper die Verbindung zum verborgenen Lebensthema zutage. Der Therapeut beobachtet deshalb die Körperreaktionen des Protagonisten genau, versucht sich in die Haltung, in das Körpergefühl er Protagonist hineinzufühlen, kann sogar in gewissen Situationen die Körperhaltung des Patienten zu diagnostischen Zwecken imitieren. Dabei muß natürlich jede Peinlichkeit bzw. jedes mögl. Mißverständnis sorgfältig vermieden werden.

Neben der genauen Beachtung der somatischen Realität des Protagonisten wird auch die soziale Realität betrachtet.

  • Wie lebt er?
  • Wovon lebt er?
  • Wie gestaltet sich ein normaler Alltag?
  • Wie ist seine finanzielle Situation?
  • Wie sieht sein beruflicher Alltag aus?
  • Welchen besonderen Belastungen (Familie und Beruf?) ist er ausgesetzt? usw.

Im weiteren wird in der Diagnostik die soziale Struktur des Protagonisten untersucht. Es wird ein soziales Atom angefertigt und ggf. ein Rollendiagramm gezeichnet. Ein Genogram und ein Soziogram der Familie kann ggf. auch erforderlich sein. Diese Techniken sind ausführlich bei Hall (1985) beschrieben, hier kann nur insofern darauf hingewiesen werden, daß die Beachtung der Möglichkeiten des Surplus die Durchführung dieser Techniken in der Einzel- wie aber auch in der Gruppenarbeit stark erweitert. Hier sei nur beispielsweise die Gestaltung eines Soziogramms mit bunten Steinen, mit Schreibstiften, Büroklammern oder anderen Gegenständen, die sich gerade im Sprechzimmer finden mögen, erwähnt. Hier ist die Persönlichkeit und die Phantasie des Therapeuten gefragt, sich mit diesen Techniken zu beschäftigen und für sich Wege des Einsatzes in der Situation zu entwickeln, wo sie sich gerade anbieten.

8.5 Anwendung von Surplus-Techniken in der Einzeltherapie

8.5.1Der leere Stuhl als therapeutisches Vehikel: Die blockierten Gefühle werden zum Ausdruck gebracht

In seinen Artikel " Therapeutic Vehicles" (Moreno 1965) stellt Moreno die Technik des "Leeren Stuhls" ausdrücklich als erste und wichtigstes therapeutisches Vehikel innerhalb des Surplus-Konzepts dar.

Ein Ziel der Therapie ist es, den Protagonisten zum Ausdruck seiner Gefühle und Gedanken zu bewegen. Ein erster Anfang dazu wird im Interview gemacht. In der psychodramatischen Einzeltherapie wird dann ein nächster Schritt vollzogen. Der Protagonist soll ausdrücken lernen, was er gegenüber seinen Konfliktpartnern, z.B. seinen Ehepartner, nicht ausgedrückt hat, bzw. nicht ausdrücken konnte.

Nach einer geeigneten Erwärmung im Gespräch wird der Protagonist vom Leiter aufgefordert, sich vorzustellen, wie es wäre, wenn er jetzt, hier in der therapeutischen Situation nachholen würde, was er in der Realität versäumt hat. Es soll eine Art symbolischer Handlung sein, geht aber in Wirklichkeit über eine symbolische Handlung hinaus, denn er übt sich auch für folgende Handlungen in der Zukunft.

Der Therapeut plaziert einen leeren Stuhl gegenüber dem Sitzplatz des Protagonisten und fordert ihn auf, sich genau vorzustellen, wie der Konfliktpartner, der Antagonist in diesem Moment aussieht. Dann unterstützt der Therapeut den Protagonisten darin, seine Gefühle und Gedanken gegenüber dem Antagonisten auszudrücken. Diese Gefühle auszudrücken ist bereits der erste Schritt der Heilung.

Von hier aus ist es einfach, die Technik durch die Einführung des Rollentauschs weiter zu vertiefen und zu erweitern.

8.5.2 Der leere Stuhl mit Rollentausch

Eine wichtige Variation des "Leeren Stuhls" ist die Arbeit mit dem "Leeren Stuhl" in Verbindung mit dem Rollentausch. Es gibt dabei zwei Stühle, einen für den "Berater" und einen für den ratsuchenden Protagonisten. Der Protagonist wird für seine Fragen erwärmt und für die Möglichkeit, einen weisen Freund, eine kluge Freundin zu haben, die er befragen kann. Der Protagonist nimmt dann in seinem Stuhl Platz, stellt seine Frage(n) und wird dann vom Leiter aufgefordert, den Stuhl des Beraters einzunehmen. (Dieser Berater kann auch eine im realen Leben des Protagonisten vorhandene Person sein, aber auch eine bereits verstorbene Person, z.B. die Großmutter, dazu auch Kap. 3.3) In der Rolle des Beraters gibt der Protagonist sich selbst eine Antwort auf die Fragen. Der Leiter kann dabei beide Rollen durch Doppeln verstärken bzw. indirekt leiten (siehe auch weiter unten). Da diese Technik im Prinzip auch sehr gut ohne Leiter durchgeführt werden kann, ist dies eine schöne Möglichkeit, dem Protagonisten eine Selbsthilfe mitzugeben, die er immer anwenden kann, um sich selbst Rat und Hilfe zu geben. Allein die Entdeckung dieses klugen und hilfsbereiten Ratgebers in der eigenen Psyche hat für viele Menschen eine große Bedeutung.

8.5.3 Rollentausch

Wahrscheinlich liegt einer der Gründe dafür, daß Psychodrama mehr als eine Methode für die Gruppe angesehen wird, darin, daß Psychodrama in der Einzeltherapie höhere Anforderungen an den Leiter stellt und deshalb wohl seltener angewendet wird und auch entsprechend in der Literatur selten beschrieben wird. Gewiß aber ist Psychodrama besonders für die Einzelarbeit geeignet und anderen Therapieformen gewiß gleichwertig, wenn nicht sogar in bestimmten Aspekten, besonders in der Arbeit mit schweren Traumata und in der Arbeit mit Widerstand überlegen.

Der Rollentausch ist das zentrale Agens des Psychodramas. Es bedeutet, die Welt und insbesondere sich selbst in seinen Verhaltensweisen durch die Augen des Anderen, des Gegenübers zu sehen. Keine andere Therapieform verfügt über ein derart mächtiges Instrument. Das Vorgehen beim Rollentausch ist in der Einzelarbeit anders als in der Gruppenarbeit. Im Interview wird die Spielszene vorbereitet, d.h. Ort und Zeit festgelegt, ein Platz für die Spielszene auf der Bühne ausgesucht und vorbereitet. Dann werden die an der Szene beteiligten Personen festgelegt bzw. vorgestellt. In der Gruppenarbeit werden diese Personenrollen mit Mitgliedern der Gruppe besetzt. Im Sprachgebrauch des Psychodramas heißen diese Rollen "Hilf-Ich(e)". Dieser Terminus deutet daraufhin, das all diese Rollen auf der Bühne des Psychodramas aus der Wahrnehmung des Protagonisten stammen. Sie sind also eine Erweiterung der Person des Protagonisten, seines "Ichs". Auf der Bühne haben diese Personenrollen eine helfende, unterstützende Rolle: Sie bringen die Handlung voran, sie stellen den Gegenpart zum Protagonisten, aber sie sind letztlich Externalisierungen des "Ichs" des Protagonisten.

In der Regel haben wir eine untrügliche und umfassende Wahrnehmung unserer sozialen Umwelt. In Konfliktsituationen neigen die Menschen dazu, auf ihrer Meinung zu beharren. Sie können sich nicht mehr in die Schuhe des Anderen stellen. Sie können nicht mehr wahrnehmen, wie ihr Verhalten auf den anderen, das Gegenüber wirkt, obwohl sie prinzipiell sehr gut dazu im Stande wären. Der Rollentausch im Psychodrama bedeutet nichts anderes, als eine Situation zu schaffen, in der der Protagonist in die Schuhe des "Gegenüber" tritt.

Im einfachsten Fall ist der Ausgangspunkt ein Konflikt zwischen zwei Menschen, z.B. einem Liebes- oder Ehepaar. Im Interview werden die Rahmenbedingungen der Situation genau geklärt. Dann fordert der Leiter auf, aus der Gesprächssituation in die Spielhandlung überzugehen. Um diesen übergang zu markieren, wechselt man den Sitzplatz, "betritt" man die Bühne. Da ja in der Einzelarbeit nur der Protagonist und der Leiter im Raum anwesend sind, kann hier natürlich keine reale Person die Rolle des Gegenübers, des sog. Antagonisten übernehmen. In aller Regel nimmt der Leiter einen Stuhl und plaziert ihn en facé zum Protagonisten, und leitet das folgende ein mit einem Satz wie etwa: "Stellen Sie sich bitte mal vor, hier auf diesem Stuhl sitzt ihr Ehepartner". Gerade in der Einzelarbeit ist die Erwärmung für das Spiel besonders wichtig, deshalb wird dann in der Regel weiter eine Erwärmung für die Vorstellung eines lebendigen Gegenübers auf dem leeren Stuhl geschaffen, mit Fragen etwa: Wenn wir uns beide jetzt mal ihren Partner so anschauen, was für einen Menschen sehen wir da vor uns? Wie sieht er/sie aus? Was hat er/sie an? Welchen Ausdruck im Gesicht, welche Haltung usw.?

Wenn der Protagonist Schwierigkeiten hat, sich dies vorzustellen, ist es machmal hilfreich, den Stuhl nicht einfach leer zu lassen, sondern ein Kissen darauf zu plazieren, welches der Protagonist dafür auswählt. ähnlich kann auch eine Strickjacke, ein Jackett oder ein Mantel dienlich sein. Wir haben auch schon in Fällen von Mißbrauch und Mißhandlung mit großem Erfolg eine lebensgroße Schaumstoffpuppe eingesetzt.

Nach unseren Erfahrungen ist es eher hilfreich, in der Einzelarbeit beim Einsatz des leeren Stuhls, diesen eben nicht leer zu lassen und mit einem Objekt zu belegen. Dies gilt besonders, wenn der Patient zum erstenmal mit psychodramatischen Techniken konfrontiert wird. In der Gruppenarbeit sind Objekte auf dem Stuhl manchmal eher hinderlich. Natürlich kann im Laufe des Geschehens, besonders wenn viel Rollentausch (hin und her) erforderlich ist, das Objekt, wenn es nicht mehr zweckdienlich ist, auch beiseite getan werden.

Der Leiter läßt sich dann also vom Protagonist genau und in wörtlicher Rede schildern, was der Protagonist in der fraglichen Situation zum Antagonisten gesagt hat. Dann fordert er den Protagonist auf, den Platz zu wechseln und die Gegenrede des Antagonisten ebenfalls in wörtlicher Rede zu geben. Nicht selten treten hier gerade beim Anfang bei den meisten Patienten Verständnisprobleme auf. Davon darf man sich dann nicht irritieren lassen, und geduldig erklären, und ggf. mehrere Versuche starten. Gerade hier ist eingangs Sorgfalt und Ruhe vonnöten. Im Prinzip kann man mit jedem Patienten die Technik des Rollentauschs durchführen, auch mit sehr schwer gestörten Patienten. Bei Moreno sind mehrere Fälle geschildert, bei dem er auch mit florid psychotischen Patienten arbeitete (Moreno 1959).

Treten also Schwierigkeiten auf, den Protagonist in den Rollentausch zu bekommen, sind folgende Hinweise nützlich:

  • Die zu spielende Situation nach Raum und Zeit genau bestimmen
  • Die Situation unbedingt auf die Auseinandersetzung zwischen zwei Personen reduzieren.
  • Den Protagonist sofort bremsen, wenn er in ein "Darüber- Reden" oder ins Interpretieren abgleitet, dies nimmt nur Energie aus dem Spiel
  • Genau und geduldig erklären, wie man den Rollentausch macht.eNötigenfalls den Rollentausch demonstrieren.
  • Auf dem Gebrauch der wörtlichen Rede in beiden Rollen bestehen.
  • Gegebenenfalls auf den Widerstand aufmerksam machen und nachforschen, ob der Protagonist nicht ev. "den Braten schon riecht" und lieber der Konfrontation ausweichen möchte.
  • Es gibt sicher immer wieder Patienten die auf keinen Fall einen Rollentausch machen, dies liegt meist aber nicht daran, daß sie das nicht können.

Wenn der Protagonist sich auf den Rollentausch einläßt, dann wechselt er je nach Rolle den Stuhl und spricht den Part, den die jeweilige Rolle beinhaltet. Wenn der Protagonist unsicher ist, ob er alles richtig erinnert, dann ist es wichtig, ihn darin zu bestärken, das es nicht auf eine richtige bzw. genaue oder wahrhaftige Darstellung ankommt, sondern allein darauf zu untersuchen, wie er, der Protagonist sich in der Situation gefühlt hat. Um diese Gefühle wieder zu erwecken, ihnen nachspüren zu können, wird die Situation nachgestellt.

Damit das Spiel in Fluß kommt, ist es notwendig, daß der Protagonist erst seine eigene Rolle spricht und auf den Hinweis des Leiters hin den Stuhl wechselt und die Entgegnung des Antagonisten. Auch hier ist das Gespür für den richtigen Moment wichtig. Es ist nicht gut, dem Protagonist zu erlauben, sich in lange Monologe zu ergehen. Lange Monologe machen es unmöglich, auf den Kern des Themas zu fokussieren, sie erschlagen den Antagonisten. Dies gilt für die Gruppentherapie und umso mehr für die Einzeltherapie, denn hier muß ja der Leiter nach dem Rollentausch die Rolle des Patient in der Protagonistenrolle übernehmen, um dem Patient in der Antagonistenrolle das nötige Stichwort und die nötige Erwärmung zu geben. Wenn man vorher zulange Monologe zuläßt, bringt man sich als Leiter in die Schwierigkeit, sich zuviel für die Rolle merken zu müssen, denn man muß ja gleichzeitig noch den roten Faden der ganzen Sitzung und die Befindlichkeit des Protagonisten im Auge behalten.

Von dieser Schwierigkeit lassen sich viele Leiter abhalten, obwohl es nur eine Frage der übung und des richtigen Timings ist. Grundsätzlich kann man sagen, das es sehr wichtig ist, das Verhalten des Protagonisten in seiner eigenen Rolle so genau wie möglich zu spiegeln. Hier ist Feingefühl und Sorgfalt wichtig, sonst fühlt sich der Protagonist nicht richtig gesehen, oder schlimmer noch, karikiert und wird mit Recht die Situation richtig stellen wollen. Ziel ist die Konfrontation des Protagonisten mit sich selbst. Das Wiederholen, das Wiederzeigen des Verhaltens des Patienten ist genaugenommen eine eigene Technik, die weiter unten ausführlicher beschrieben wird. Hier im Rollentausch haben wir auch einen Moment des Spiegelns, aber es ist nur kurz. Der Zweck ist die Erwärmung für die Antagonistenrolle.

Während des Rollentauschs nimmt der Leiter nur sehr kurz die Protagonistenrolle. In der Regel wiederholt er nur die letzten ein bis zwei Sätze. Es empfiehlt sich nicht, sich umständlich auf dem Stuhl niederzulassen, auf dem der Protagonist gesessen hat, sich selbst für die Rolle zu erwärmen usw., sondern hier nur, gebenenfalls im Stehen hinter dem Stuhl, das Stichwort zu geben. Ist das Spiel im vollen Gang, kann auch auf das Stichwort verzichtet werden, eine Geste genügt bei trainierten und erwärmten Protagonisten. Auch hier muß der Leiter gerade in der Einzeltherapie pragmatisch vorgehen. Da in der Regel wenig Zeit ist, müssen unwichtige Details weggelassen werden, das Thema fokussiert werden. Ziel der Arbeit ist Intensität der Gefühle.

Hat der Leiter in der Protagonistenrolle das Stichwort gegeben, wechselt er an die Seite des Protagonisten in der Antagonistenrolle. Er ist dem Protagonisten nahe, aber auch nicht zu eng. Er fühlt sich jetzt mit den Protagonisten zusammen in die Antagonistenrolle ein. Der Protagonist in der Antagonistenrolle spricht nun seinen Part. Auch hier ist genauso wie vorher in der Protagonistenrolle ein Gefühl für das richtige Timing wichtig, an dem der Leiter das Signal für den Rollentausch zurück gibt.

Nicht selten ist gerade in der Einzeltherapie die Antagonistenrolle für den Protagonisten sehr negativ besetzt. Die betrogene Ehefrau will sich nicht in die Rolle des Ehemanns versetzen und wenn sie seine Rolle nimmt, hat sie natürlich besonders anfangs keine Einfühlung für sein Verhalten, sondern stellt nur die ekelhaftesten Seiten an ihrem Mann heraus. Wenn nun der Leiter (besonders wenn er zu seinem Protagonisten gegengeschlechtlich ist) die Antagonistenrolle nimmt, besteht eine gewisse Gefahr, das der Protagonist negative Gefühle auf den Leiter überträgt. Falls dies geschieht, hat der Leiter vermeidbare Fehler gemacht.

Gerade wenn der Leiter die Antagonistenrolle wiedergibt, muß er auf der einen Seite die Rolle nehmen und richtig, d.h. angemessen wiedergeben, auf der anderen Seite eben übertragungen vermeiden. Dazu muß er insbesondere die Neigung des Protagonisten zu solchen übertragungen einschätzen und im Zweifelsfall kein Risiko eingehen. Sehr hilfreich ist es, auch hier nicht auf dem Stuhl des Antagonisten Platz zu nehmen, sondern sich hinter diesen zu stellen. Auch eine Bemerkung wie: "Ich spiele jetzt mal die Rolle...(z.B. ihres Mannes)" oder "Ich bin jetzt mal..." helfen, solche übertragungen zu vermeiden. Es ist dann auch gut, vorher die Rolle auf diesem Stuhl mit z.B. einem Kissen belegt zu haben. Hat man als Leiter das Gefühl, daß der Protagonist trotzdem die Gefühle überträgt (kommt sehr selten vor, aber manchmal eben doch) ist es besser, das Spiel zu unterbrechen und nochmal auf den Spielcharakter der Situation zu verweisen. Gegebenenfalls ist es dann besser, den Rollentausch zu lassen und eine Playback-Technik zu versuchen, bei der der Protagonist nur eine zuschauende Rolle hat (siehe dazu weiter unten).

Gerade bei den ersten Malen mit einem neuen Patienten wird man als Leiter die Situationen geradlinig durchspielen. Später kann man, um dem Spiel mehr Dynamik zu geben, als Leiter in beide Hilf-Ich-Funktionen (also als Stichwortgeber in der Protagonisten wie auch in der Antagonistenrolle) tiefer einsteigen, mehr Intensität beim Ausdruck der Rolle nehmen und auch vorsichtig beginnen, zu improvisieren. Der Leiter darf sich natürlich nicht von seiner eigenen Spielfreude übermannen lassen, denn anders als im Gruppenspiel ist kein anderer mehr anwesend, der ihn bremsen könnte. Es darf ruhig Spaß machen, aber es muß dem Protagonisten helfen. Gerade wie der Leiter die Antagonistenrolle darstellt, d.h. welche Nuancen er heraushebt, was er abkürzt und wegläßt, beeinflußt den Gang des Geschehens. Dies ist neben dem Doppeln die wichtigste Art, wie der Leiter leitet, während er selbst eine Hilfs-Ich-Rolle übernommen hat.

8.5.4 Doppeln

Mit dem Begriff Doppeln wird beschrieben, daß zu einer Rolle, die vom Protagonisten bzw. von einem Hilfs-Ich besetzt ist, eine weitere Person zugesellt wird. Diese Person ist eine Erweiterung der betreffenden Rolle und hat die Aufgabe, diese Rolle sowohl zu verstärken als auch zu nuancieren. Es kann dabei sowohl die Rolle des Protagonisten als auch die des Antagonisten oder anderer Rollen auf der Bühne gedoppelt werden. Das Prinzip des Doppelns ist am einfachsten in seiner Anwendugn in der Gruppentherapie zu erläutern. Die Doppel sind sozusagen Doppelgänger, eine zweite Person in der Rolle des Protagonisten auf der Bühne. In der Gruppentherapie werden diese Doppel meist spontan von zuschauenden Gruppenmitgliedern besetzt. Sie sind erwärmt durch die allgemeine Erwärmung der Gruppe für das Spiel und ihre eigene Identifikation mit der Rolle. Sie kommen nach Anfrage durch das Gruppenmitglied und Aufforderung durch den Leiter auf die Bühne. Durch Position und Haltung machen diese ihre Rolle als Doppel deutlich. Die wichtigste Aufgabe des Doppels ist, durch die Einfühlung, durch das Tele, welches zwischen dem Doppel und der gedoppelten Rolle herrscht, den Protagonisten darin zu unterstützen, die unbewußten oder blockierten Anteile seiner Rolle stärker zum Ausdruck zu bringen.

Beispielsweise kann in einem Gruppenspiel ein Protagonist einen konflikthaften Dialog zwischen ihm und seiner Freundin vortragen. Der Protagonist ist recht gehemmt in seinem Ausdruck von Gefühlen. Im Rollentausch stellt er dar, wie seine Freundin ihn wegen Kleinigkeiten kritisiert. Zurück in seiner eigenen Rolle kann er nicht reagieren (wie eben in seinem Alltag auch) als seine Freundin (dargestellt von einem Hilfs-Ich) ihn kritisiert. Die Situation ist zunächst blockiert. Ein männliches Gruppenmitglied meldet sich und wird vom Leiter auf die Bühne gewinkt. Er plaziert sich hinter und neben den Protagonisten, legt eine Hand auf dessen Schulter und spricht in einem geeigneten Moment Gefühle aus, die er beim Protagonisten durch seine Einfühlung vermutet, die diese aber nicht äußert: "Ich glaube, ich werde hier langsam recht wütend !" Im Blickkontakt zum Protagonisten überzeugen sich Leiter und das Doppel, ob diese Einfühlung richtig ist, und fragen ggf.: Stimmt das? Je nach der Reaktion des Protagonisten kann das Doppel dann weitere Einfühlung und Unterstützung geben, z.B.: " Ich bin in Wahrheit sauwütend!!!" usw. Der Protagonist und das Doppel stellen damit zwei Aspekte ein und der selben Person dar, die eine gemeinsame Erfahrung zum Ausdruck bringen.

Das Doppel kann also Nuancen ausdrücken, kann bestimmte Aspekte des Gefühlslebens des Protagonisten ausdrücken, verborgenes ans Tageslicht bringen und dem Protagonisten durch entsprechende Emphase helfen, intensive Gefühle wie Wut und Trauer zum Ausdruck zu bringen.

Die Doppel haben in unserem Verständnis von Psychodrama eine sehr wesentliche Rolle. In der klassischen Form des Psychodramas werden Doppel nur sehr restringiert zugelassen. Im Institut für Psychodrama, Dr. Ella Mae Shearon in Köln haben wir sehr ausführlich mit dem Doppel gearbeitet. Der entscheidende Faktor ist sicher das Ausmaß des Gruppenteles, d.h. wie gut die Gruppenmitglieder aufeinander eingestimmt sind und wie gut die Gruppenmitglieder selbst trainiert sind, ihre eigenen Gefühle wahrzunehmen und frei zum Ausdruck bringen zu können. Alle Rollen auf der Bühne (außer natürlich dem Leiter) können gedoppelt werden. Dies ist hilfreich, wenn der Protagonist beispielsweise ein Hilfsich, einen Antagonisten gewählt hat, welches nicht frei genug ist, eine bestimmte Maximierung von Gefühlen, intensiv genug zum Ausdruck bringen zu können. Sehr häufig sind die Impulse, die ein Doppel setzt, diejenigen, die eine Katharsis einleiten. Fast jede Maximierung von Gefühlen, jeder intensive Ausdruck von Gefühlen wird so unterstützt.

In unserem Institut haben wir auch zugelassen, das der Leiter ebenfalls vorübergehend seine Rolle als Leiter aufgibt und selbst zum Doppel wird. Dies ist besonders nützlich, wenn entweder keine geeigneten oder inadäquate Doppel-Impulse aus der Gruppe kommen. Wenn der Leiter durch Gestik bzw. eine entsprechende Bemerkung, z.B. "Ich dopple dich jetzt mal. " oder "Ich bin jetzt auch du" das Doppel einleitet, gibt es kaum je Verständnisprobleme beim Protagonisten. Der Protagonist empfindet ein Doppel, sofern es im wesentlichen stimmige Impulse setzt, immer als eine Erleichterung und eine Quelle der Kraft und der Sicherheit. Immerhin ist er nicht mehr allein in dieser Situation auf der Bühne, ein anderer Mensch fühlt auch so wie er!

Wir haben wiederholt Szenen beobachtet, in denen besonders schwierige und verschlossene Protagonisten sich allein durch das sensible Doppeln des Leiters öffnen konnten und sich auch nur dem Leiter anvertrauten. An dieser Stelle wird der übergang zwischen dem Gruppenspiel mit nur einem Leiter und dem Protagonisten deutlich. Läßt man das Publikum weg, sind wir in der Situation der Einzeltherapie.

Dem erfahrenden Leiter eröffnet sich durch die Technik des Doppelns eine sehr große Bandbreite von Interventionsgelegenheiten. Er braucht nicht zu sagen: Ich finde, das ..., oder Ich denke, das du ...; er kann es darstellen, bzw. die entsprechende Rolle in der Situation sagt es. Stimmt die Einfühlung nicht, ist nichts verloren, im Gegenteil, der Leiter kann in einem ständigen Prozeß seine Hypothesen über die verborgenen Aspekte der Situation überprüfen und modifizieren. Der Leiter kann sogar die Antagonistenrolle doppeln. Er kann aussprechen, als Doppel, wie beispielsweise die Frau des Protagonisten sich fühlt und seinem Patienten so eine Einfühlung für seinen Partner vermitteln.

Es ist nicht ganz einfach, ständig zwischen der Position des Leiters und dem Doppel des Protagonisten hin- und herzuspringen, und auch noch den Rollentausch im Blick zu behalten. Dem trainierten Leiter eröffnet sich aber noch eine weitere Möglichkeit; das Leiten aus der Rolle des Doppeln. Der Leiter in der Rolle als Doppel des Protagonisten Klaus sagt dann z.B. im mehr oder weniger Suggestion in der Stimme: Ich, ich hier als Klaus, ich würde jetzt gerne mal meiner Mutter so richtig die Meinung sagen! (Protagonist Klaus nickt) "Ich würde sie am liebsten anschreien !" usw. So kann der Leiter den Impuls setzen, ohne seine Position neben dem Protagonisten zu verlassen. Er bleibt ständig im Kontakt mit den Gefühlen des Protagonisten, da er die Situation mit aus seiner Position sieht.

Natürlich muß der Leiter in der Doppel-Rolle peinlich genau auf die richtige Distanz achten. Anders als in der Gruppentherapie nimmt der Leiter nur sehr, sehr selten Körperkontakt mit dem Protagonisten auf. Dies einmal, um die sowieso schon intimere Situation mit der Protagonisten nicht zu überfordern, aber auch, um sich selbst als Leiter nicht in einen zu engen Kontakt zu dem Protagonisten zu bringen, denn man muß noch als Leiter handeln können. Kleine Nuancen können hier erhebliche Konsequenzen haben.

8.5.5 Spiegel und Playbackarbeit

Es gibt Situationen in der Einzeltherapie, in denen es sehr schwierig ist, den Protagonisten in einen Rollentausch zu bringen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Ein Grund ist z.B. ein allgemeiner Widerstand in der Persönlichkeit des Protagonisten, sich zu Ausdruck zu bringen. Dies kann Teil der Störung sein, oder aber auch ein Aspekt seiner Persönlichkeit. Manchmal handelt es sich aber auch nur um den Widerstand während des therapeutischen Prozesses, bei dem sich der Patient einer schon erahnten Erkenntnis intuitiv wiedersetzt. Ein anderer Grund kann aber auch sein, daß bestimmte Ereignisse, die es zu bearbeiten gilt, sehr traumatisierend waren: z.B. schwere Mißhandlung und/oder Mißbrauch. Hier verbietet es sich absolut, den Protagonist erneut in die Situation zu schicken. In all diesen Situationen kann man die Techniken des Spiegeln bzw. die des Playback-Theaters nutzen.

Spiegeln bedeutet, in einer bestimmten Situation dem Protagonist sein Verhalten zu spiegeln. Es handelt sich also um eine eher kurze Spielsequenz, in der jemand (in der Gruppe ein besonderes Hilfs-Ich oder sein Doppel bzw. in der Einzeltherapie der Leiter) die Rolle des Protagonist genau so ausspielt, wie er sich in der fraglichen Situation verhält. Der Protagonist wird dazu von der Bühne geschickt und ausdrücklich in die Rolle des Zuschauers gebracht. Dann wird die Sequenz gespielt. Danach wird im Interview exploriert, welche Gefühle bzw. Eindrücke der Protagonist von diesem Spiegel erhält. Ist der Widerstand hier noch nicht recht aufgelöst, kann man den Protagonist auffordern, aus der Rolle des Zuschauers heraus, das Wort an sich selbst auf der Bühne, dargestellt durch das Hilfs-Ich, zu richten. Dann kann wieder ein Rollentausch gemacht werden und so hat man dann den Protagonist mit neuen Handlungsimpulsen wieder auf der Bühne und das Hilfs-Ich aus der Rolle entlassen.

Im Falle der Einzeltherapie übernimmt der Leiter eben die Rolle des Spiegels. Diese Technik ist sehr mächtig und stellt in der Regel eine starke Konfrontation für den Protagonisten dar. Es kann also leicht passieren, daß sich der Protagonist durch einen ungeschickten Einsatz brüskiert fühlt. Man muß deshalb den Einsatz dieser Technik gut erwägen und gerade in der Einzeltherapie den Sinn und Zweck vorher klar machen. Der Einsatz einer Spiegeltechnik ist immer kurz und prägnant. Es wird dann im Interview immer auf einen neuen Handlungsimpuls hingearbeitet: " Wie findest du, das sich dieser Mensch da verhält? Was möchtest du ihm sagen?" Klappt diese Intervention nicht, muß man u.U. das Spiel abbrechen und erst die Situation klären. Es kann sein, das hier dann eine unklare Beziehung zwischen Leiter und Protagonist vorliegt, oder das keine ausreichende Veränderungsmotivation bei dem Protagonisten da ist.

Im Unterschied zu Spiegeln bedeutet Playback die Widergabe einer längeren Sequenz. Hierbei finden alle beteiligten Rollen ihren Ausdruck. Es ist, als ob man für den Protagonist ein Stück seines Lebens als Theateraufführung inszeniert. In der Gruppentherapie kann dies mit einigem Aufwand geschehen, in der Einzeltherapie spielt wiederum der Leiter alle Rollen selbst, der Protagonist wird wiederum vorher ausdrücklich in eine Zuschauerrolle gestellt. Aus diesem Grund ist der Leiter schon aus praktischen Gründen auf kürzere Sequenzen mit weniger Rollen beschränkt.

Immer wird der Protagonist vorher genau interviewt, wie sich die Situation abgespielt hat, wer was wann wie gesagt hat. Manchmal wird der Protagonist während des Spiels unterbrechen und sagen: "Nein, so war es nicht" und änderungen verlangen. Die werden dann genau aufgenommen und umgesetzt. Während der Gruppentherapie bleibt der Leiter unbedingt beim Protagonisten während des Playbacks, in der Einzeltherapie ist dies ja unmöglich. Da die Playback-Technik ja besonders bei der Arbeit mit starken Traumata eingesetzt wird, muß der Protagonist sich auf der Zuschauerposition sicher fühlen. Deshalb wird man ihm einen geschützten Platz im Raum zuweisen. Der Protagonist sucht sich diesen Platz meist selbst, läßt sich einen "Fluchtweg" offen, nimmt sich ein Kissen vor den Bauch etc. Man kann auch als Leiter einen Stuhl wie eine schützende Barriere zwischen Bühne und Zuschauerplatz aufbauen.

Eine gute Durchführung der Playback-Technik in der Einzeltherapie stellt hohe Anforderungen an die darstellerische Erfahrung des Therapeuten. Zunächst muß er den Skript von in der Regel zwei Rollen im Kopf behalten. Die Information dazu hat er sich vorher im ausführlichen Interview geholt. Dann muß er genau auf den entscheidenden Moment der Situation fokussieren und präzise den Ton treffen und die richtige Intensität der Darstellung wählen. Gerade bei der Arbeit mit schweren Traumata ist der Protagonist durch das Interview bereits so für die Situation erwärmt, daß es oft nur wenig bedarf, um die gefühlte Erfahrung aus der vergangenen Situation zu erwecken. Manchmal jedoch ist die Erfahrung, ein Opfer zu sein, so verletzend, daß sich der Protagonist mit der Täterseite identifiziert und das Opfer (sich selbst also) abwertet. Gerade in diesem Fall muß die Rolle des Opfers ausgespielt werden. Hier kann auch sehr vorsichtig improvisiert werden, beispielsweise durch eine Improvisation eines Monologs über die geheimen Gedanken des Opfers. Es spricht diese laut aus.

Es ist immer sehr heikel, die Rolle des Täters (der auch eine Frau sein kann, z.B. schlagende oder verführende Mütter!) intensiv auszuspielen. Wir haben die Beobachtung gemacht, daß bei Mißbrauchsthemen beispielsweise die bloße Aussage:" Und hier, hier steht der Vater, und er zieht gerade das Hemd aus" völlig genügt. Es ist nicht notwendig, daß der Leiter die Rolle nimmt und ausspielt. Dies ist überhaupt möglichst zu vermeiden. Der Fokus bei der Arbeit mit Trauma und Mißbrauch ist nicht die Tat, die Verletzung, sondern was nach der Verletzung geschieht: die Gefühle der Kränkung, der Demütigung, der Selbstanklage, der Verleugnung, des mit seiner Klage als Lügner abgewiesen werden etc., kurz das was in der Seele steckenbleibt, was nicht verziehen, verarbeitet ist. Geht es darum, die Wut auf den Täter und seine Komplizen auszudrücken, ist es sehr ungünstig, wenn der Leiter diese Rolle, egal wie kurz, besetzt hatte. Als erfahrener Leiter würde man die Position des Täters immer eher mit einem Jackett, einer Decke, einem Kissen auf dem Stuhl o.ä. besetzen. Ideal ist die oben erwähnte Schaumstoffpuppe, die direkt zur Abreaktion der Wut einlädt.

Während des Ausspiels der Playbackszene behält der Leiter ständig den Protagonist genau im Auge. Seine Konzentration ist auf den Protagonisten, nicht auf der Szene. Wichtig ist die emotionale Situation des Protagonist, nicht die Szene. Manchmal wendet sich die Aufmerksamkeit des Protagonist vom Bild auf der Bühne ab, er geht in seine Innenwelt, erlebt alles in sich, eilt der Handlung auf der Bühne voraus. Dann muß der Leiter sofort bei seinem Protagonist sein, stützen, explorieren und die Katharsis einleiten.