Liebe Patientin, lieber Patient

Ihr Arzt bzw. Ihre Ärztin hat Ihnen eine psychotherapeutische Behandlung empfohlen.

Im Moment gehen Ihnen sicherlich eine Reihe von Fragen und Gedanken durch den Kopf, wie z.B.:

"Psychotherapie?
Soweit ist es schon mit mir gekommen?
Wo finde ich denn einen guten Therapeuten?
Oder suche ich mir lieber eine Therapeutin?
Über Psychotherapie habe ich ja nicht nur Gutes gehört!
Wird es mir dann wirklich besser gehen?"

Manche Menschen sind auch heute nicht ganz vorurteilsfrei. Vielleicht befürchten Sie, deswegen in Ihrer Familie oder in Ihrem Freundeskreis abgelehnt zu werden.

"An meinem Arbeitsplatz darf natürlich niemand etwas davon erfahren."

Es kann sein, daß Sie selbst das Gefühl haben, versagt zu haben, weil Sie "Ihre Probleme oder Ihre körperlichen Beschwerden nicht alleine in den Griff kriegen".

Seelische Belastungen, z.B. Auseinandersetzungen mit Kollegen, familiäre Zwistigkeiten, der Verlust nahestehender Personen, Scheidung, Tod, ein Berufswechsel oder Wechsel des Wohnortes bis hin zu seelischen Schocks durch Unfall oder Gewalt, um einige wesentliche Lebensereignisse aufzuzählen, können ein Gefühl von Hilflosigkeit und Überforderung entstehen lassen. Die mit seelisch belastenden Lebensereignissen verbundenen Gefühle haben eine Auswirkung auf Ihr körperliches Befinden.

Einige der genannten Lebensereignisse können starke Gefühle auslösen, die wir nicht gerne wahrnehmen möchten, weil uns ihr Ausmaß ängstigt. Wenn ich mich z.B. in meine Trauer fallen lasse, habe ich Angst, die Kontrolle über mein Leben zu verlieren, nicht mehr leistungsfähig zu sein oder von meiner Umwelt abgelehnt zu werden. Wenn ich jedoch über Jahre Gefühle von Angst, Wut oder Trauer eher aufstaue als ausdrücke, kann es sein, daß diese Gefühle eines Tages unerwartet herausbrechen. Die Heftigkeit meiner Reaktion paßt dann meistens gar nicht zu der auslösenden Situation und gibt mir ein Gefühl, die Kontrolle über mich und mein Leben zu verlieren.

Die meisten Menschen, die diese Erfahrung gemacht haben, beginnen über ihr Verhalten nachzugrübeln. Sie suchen nach Ursachen, um ihre Reaktionen zu verstehen. Haben Sie sich auch schon einmal die folgenden oder ähnlichen Fragen gestellt?

"Warum kann ich gar nicht mehr aufhören zu weinen? Warum fühle ich mich so leer, daß ich ständig etwas essen muß? Warum benötige ich abends immer mehr Alkohol bzw. Tabletten, um besser einschlafen zu können? Ich gehe nur noch selten aus dem Haus, weil ich mich ängstige und unsicher fühle. Wieso haben sich alle meine Freunde von mir zurückgezogen?"

Manchmal macht Ihr Körper Sie darauf aufmerksam, daß etwas nicht stimmt. Sie fühlen sich körperlich krank und haben Schmerzen, ohne daß eine körperliche Ursache für Ihre Symptome ausfindig gemacht werden kann. Die Medikamente, die Sie einnehmen, helfen nicht so wie sie es sollten. Sie haben sich bestimmt selbst schon viele Gedanken dazu gemacht, daß Sie an Ihrer Einstellung zum Leben oder an ihrer gesamten Lebenssituation etwas verändern sollten. Sie werden sich fragen, wenn ich doch genau weiß, was ich zu tun habe, warum wiederhole ich dann meine Fehler?

Seelische Probleme entwickeln sich über einen längeren Zeitraum. Im allgemeinen bemühen sich Körper und Seele, Fehler auszugleichen und mit den Anforderungen des Lebens zurechtzukommen. Wenn das Ausmaß der Belastungen zu groß wird, spielen Körper und Seele nicht mehr mit. Negative Erfahrungen aus der Kindheit und Jugend, wie Alleingelassen-Werden oder Schläge können sich auf die aktuellen Probleme verstärkend auswirken. Diese Zusammenhänge zu erkennen und zu behandeln ist nicht einfach.

Es kann sein, daß Sie sich schämen und daß es Ihnen peinlich ist, wenn Sie sich entscheiden, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Weil es niemandem leicht fällt, sich und sein Leben einem fremden Menschen anzuvertrauen, ist es sehr wichtig, daß Sie sich in der Beziehung zu Ihrem/Ihrer Therapeuten(in) respektiert und kompetent betreut fühlen. Ihre Motivation, Ihre Mitarbeit und Ihr Mut tragen wesentlich zum therapeutischen Fortschritt bei.

Dieser Text soll Ihnen helfen, einen für Sie geeigneten Therapeuten bzw. eine Therapeutin zu finden.

Wer nimmt an der psychotherapeutischen Versorgung teil?

Seelisch kranken Menschen zu helfen, stellt hohe Anforderungen an die Ausbildung und die menschlichen Qualitäten eines Therapeuten. Im Gegensatz zur Beratung, die von vielen Berufsgruppen ausgeübt wird, ist die Ausübung von Psychotherapie nur Ärzten und Diplompsychologen mit einer mehrjährigen therapeutischen Ausbildung gestattet. Bei den Psychotherapeuten für Kinder und Jugendliche gibt es noch einige Besonderheiten.

Suchen Sie sich zunächst eine(n) Psychotherapeuten(in) aus. Er bzw. sie werden Sie ausführlich und in Ruhe über die Formalitäten informieren. Erkundigen Sie sich bitte persönlich bei Ihrem(r) Sachbearbeiter(in), welche Leistungen innerhalb der psychotherapeutischen Versorgung von Ihrer Krankenkasse übernommen werden.

Wo finden Sie Adressen der Therapeuten/innen?

  • Gesundheitsämter
  • Beratungsstellen für Erziehungs- Familien- und Lebensfragen, Frauen- und Drogenberatungsstellen, Studienberatung
  • Geschäftsstellen der Krankenkassen
  • Branchenverzeichnis (Gelbe Seiten)
  • Berufsverbände der Psychologen
  • Regionale Kassenärztliche Vereinigung

Wie nehmen Sie Kontakt auf?

Sie rufen einen Therapeuten(in) an und fragen, ob ein Therapieplatz unmittelbar oder nach einer für Sie erträglichen Wartezeit frei ist. Achten Sie während des Telefongespräches auf die Stimme ihres/ihrer Gesprächspartners/erin. Ist Ihnen die Stimme sympathisch? Haben Sie das Gefühl umfassend informiert zu werden?

In der Regel vereinbaren Sie ein Erstgespräch von 50 Minuten. Manchmal müssen Sie dieses erste Gespräch privat bezahlen. Einige Krankenkassen genehmigen fünf sog. "probatorische Sitzungen", die unabhängig von einer Genehmigung immer bezahlt werden. Erkundigen Sie sich bitte bei Ihrer Kasse. Aufgabe des Erstgesprächs sowie der sogenannten "probatorischen Sitzungen" ist zu entscheiden, ob eine Psychotherapie zum jetzigen Zeitpunkt bei diesem/dieser Therapeuten(in) für Sie sinnvoll und von positivem Verlauf sein wird.

Worauf sollten Sie im Erstgespräch achten?

Beschreiben Sie Ihre Beschwerden und Schwierigkeiten möglichst genau, damit deutlich wird, welche Art therapeutischer Unterstützung Sie benötigen.

Erkundigen Sie sich, ob es einen Therapievertrag über den Umgang mit Terminabsagen bzw. Ausfallhonoraren, Urlaubsregelungen, möglichen Zuzahlungen zu den Behandlungskosten, Kosten für Gutachten, usw. gibt.

Die ersten fünf Sitzungen dienen in der Regel einer gründlichen Untersuchung und Erhebung (Anamnese) von biographischen Daten ihrer Kindheit, ihrer aktuellen Lebenssituation, ihres sozialen Umfeldes, Ihrer Partnerschaft. Sie sollten überlegen, welchen Auftrag Sie Ihrem/er Therapeuten(in) geben. Was möchten Sie für sich persönlich nach Beendigung der Therapie erreicht haben?

Horchen Sie einmal in sich hinein und achten Sie auf Ihre Körpersignale. Können Sie sich im Verlauf des Gesprächs entspannen? Fühlen Sie sich körperlich wohl oder im Bezug auf ihr Gegenüber angespannt und unter Druck? Können Sie offen über ihre Empfindungen sprechen?

Wie nehmen Sie ihr Gegenüber wahr? Haben Sie das Gefühl, daß Ihnen zugehört wird? Wie wird mit Ihrem Mißtrauen oder ihren Vorbehalten gegenüber Psychotherapie umgegangen? Dürfen Sie den/die Therapeuten(in)/in kritisieren? Oder erleben Sie Ihr Gegenüber als mächtig und unnahbar? Fühlen Sie sich beruhigt und zuversichtlich, wenn Sie an den Beginn Ihrer Therapie denken?

Wie können Sie erkennen, ob die Therapie für Sie heilsam ist?

Eine Therapiestunde dauert 50 Minuten. In fast allen Fällen ist es richtig, eine Sitzung pro Woche abzuhalten. Während dieser Zeit sollten Sie ungeteilte Aufmerksamkeit erhalten, es sollten außer in dringenden Ausnahmefällen keine Telefonate stattfinden.

Stellen Sie sich im Verlauf der Therapie einmal die Frage, ob Sie die Therapie als hilfreiche Unterstützung erleben. Fühlen Sie sich angenommen und verstanden? Haben Sie eine vertrauensvolle Bindung zu Ihrem(r) Therapeuten(in) aufnehmen können? Erleben Sie sich emotional stabiler? Sind die therapeutischen Maßnahmen für Sie klar verständlich und durchschaubar? Dürfen Sie nachfragen, wenn Sie etwas nicht verstehen? Gibt es in der Therapie Raum für Ihre Wünsche und Ideen?

Nehmen Sie Ihre Empfindungen und Körpersignale ernst. Gefühle von Unwohlsein oder Ausgeliefertsein müssen Sie nicht aushalten. Sie dürfen therapeutische Übungen abbrechen, wenn es Ihnen nicht gut geht. Es macht keinen Sinn, daß Sie seelische Verletzungen von Demütigung und Schmerz in der Therapie wiederholen. Es ist wichtig, daß Sie Ihre unangenehmen Gefühle in der Therapie ansprechen, selbst wenn Sie befürchten, Ihren/Ihre Therapeuten(in) damit zu kränken.

Gibt es eine "Heilungskrise"?

Bedenken Sie, daß sich einige Ihrer Verhaltensmuster über Jahre ausgebildet haben und Veränderungen aus diesem Grund Zeit benötigen. Es kann sein, daß Ihnen die Therapie manchmal nicht schnell genug vorangeht und daß Sie ungeduldig werden. Fragen Sie sich ehrlich, ob Ihre Erwartungen an sich selbst und an den/die Therapeuten(in) zu hoch gesteckt sind. Vielleicht stellen Sie Ihre Therapie in Frage und tragen sich mit dem Gedanken, die Therapie abzubrechen. Diese Gedanken hat jedoch jeder einmal im Verlauf einer Therapie, sie sind ganz normal. Im Gegenteil, wenn Sie eine solche Krise überwunden haben, werden Sie stolz auf sich selbst sein, daß Sie sich nicht aufgegeben haben.

Wenn Sie einmal das Gefühl haben, sich in ihren/ihre Therapeuten(in) verliebt zu haben, bedenken Sie, daß dieses Gefühl aufgrund der vertrauensvollen Bindung entsteht, und Ihre Sehnsucht nach Zärtlichkeit und Geborgenheit ausdrückt. Die therapeutische Bindung ist deswegen so besonders, weil die emotionale Nähe viele in der Kindheit erlebte Gefühle wachruft. Die Therapie ist jedoch nur dann heilsam, wenn der/die Therapeuten(in) nicht in Ihre Lebensgeschichte einbezogen ist und Sie sich ungehindert dahin entfalten können, wohin Ihr Inneres strebt.

Wenn Sie im Verlauf einer Therapiestunde durch Ihre Gefühle sehr aufgewühlt sind, erleben Sie vielleicht eine körperliche Berührung durch Ihren Therapeuten(in), z.B. die Hand auf der Schulter oder das Halten Ihrer Hand als angenehm und beruhigend. Diese körperliche Nähe ist therapeutisch unterstützend. Wenn Ihnen diese oder ähnliche Berührungen zu intim sind, dürfen Sie selbstverständlich Abstand nehmen. Die Verschlechterung Ihrer körperlichen oder seelischen Befindlichkeit über einen längeren Zeitraum, kann ein Hinweis sein, daß Ihnen die Behandlung nicht gut tut. Wenn Sie diese Schwierigkeiten innerhalb der Therapie nicht klären können, oder gar das Gefühl haben, Ihrem(r) Therapeuten(in) nicht mehr zu vertrauen, sollten Sie einen Therapeutenwechsel in Erwägung ziehen.

Therapie ermutigt Sie, Ihre Gefühle ernst zu nehmen, sich freier auszudrücken, Freundschaften zu pflegen und zu erweitern. Die Therapie wird Ihnen helfen, ihre zwischenmenschlichen Beziehungen zu ordnen. Sie wird Ihnen nicht die Verantwortung für Ihr Leben abnehmen.

Anette Paffrath